Alles über verschiedene Symptome & Anfallsformen
Wie kann man Epilepsie erkennen? Eine Vielzahl unterschiedlicher Anzeichen und Anfallsformen können auf Epilepsie hinweisen, was die Diagnose der Erkrankung deutlich erschwert. Wichtigstes und bekanntestes Symptom der Epilepsie ist der epileptische Anfall. Allerdings verläuft nicht jeder Anfall gleich; vielmehr variieren die Anfallsformen und ihre Symptome beträchtlich. Aufgrund der starken Unterschiede kann es auch für Fachärzt*innen schwierig sein eine Epilepsie zu diagnostizieren.
Zur Einteilung der sich stark unterscheidenden epileptischen Anfallsformen wird die Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (International League Against Epilepsy – ILAE) herangezogen.
Nach Definition der ILAE wird eine Epilepsie zunächst anhand ihres Beginns klassifiziert. Dazu betrachtet die ILAE das äußere Erscheinungsbild des Anfalls:
Des Weiteren gibt es epileptische Anfälle, die keiner der genannten Klassen zuzuordnen sind. Diese gruppiert die ILAE als Anfälle mit mutmaßlicher Ursache. Das Feld der Ursachenforschung in Bezug auf epileptische Anfälle ist hier noch weit und wirft immer neue Fragestellungen auf.
Im Allgemeinen werden mit der Epilepsie Symptome wie Muskelzuckungen, Verkrampfungen und Bewusstseinsverlust verbunden. Das Spektrum ist jedoch viel breiter. Auch Gefühls- und Verhaltensänderungen können Teil eines epileptischen Anfalls sein und werden als Krankheitszeichen der Epilepsie verstanden. Zwar sind die Anfallsformen vielfältig, jedoch treten bei einzelnen Epilepsie-Patient*innen in der Regel nur ein bis maximal drei verschiedene Formen der Anfälle auf. Treten bestimmte Symptome, Abläufe und aktivierte Gehirnregionen regelmäßig zusammen in Erscheinung, kann man diese zu fest definierten Epilepsiesyndromen zusammenfassen. Die Syndrome unterscheiden sich anhand der Epidemiologie (Verbreitung), der Klinik (Ablauf/Symptome des Anfalls) und weiterer Befunde in der Diagnose. Es gibt sowohl fokale (z.B. Rolando-Epilepsie) als auch generalisierte (z.B. Juvenile Absence Epilepsie) Epilepsiesyndrome, die wir zur besseren Übersicht an späterer Stelle in Tabellen für Sie zusammenfassen.
Mögliche Symptome eines epileptischen Anfalls:
Die verbreitete Vorstellung eines epileptischen Anfalls ist dramatisch: Der/Die Patient*in stürzt und bekommt Krämpfe am ganzen Körper. Allerdings tritt diese Form des Anfalls in der Praxis eher selten auf. Das in der Bevölkerung verbreitete Bild des epileptischen Anfalls entspricht dem sogenannten „Grand mal“-Anfall (oder auch großem Krampfanfall, generalisiert-tonisch-klonischer Anfall). Neben dieser Anfallsform gibt es jedoch viele weitere Formen von Krampfanfällen, angefangen bei der Aura (Sinnesstörungen unterschiedlichster Art) bis hin zu sogenannten Absencen (kurzem Verlust des Bewusstseins).
Zum Download: PDF Epilepsie Anfallsformen
Epileptische Anfälle, die nur in Teilen des Gehirns oder in bestimmten Hirnregionen auftreten, werden als fokale Anfälle bezeichnet. Sie gehen immer von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen meist nur eine Gehirnhälfte. Allerdings können sie sich auch zu einem generalisierten Anfall ausweiten, also auf beide Hirnhälften. Man spricht dann von einem fokal zu bilateral (beidseitig) tonisch-klonischen Anfall (in aller Regel verbunden mit einem Bewusstseinsverlust; früher: sekundär generalisierter Anfall).
Erstmalige und nicht akut-symptomatische Anfälle sind bei Erwachsenen zu ca. zwei Dritteln fokale Anfälle.1 Demzufolge treten fokale Epilepsien, die lediglich Teile des Gehirns betreffen bei Erwachsenen, also weitaus häufiger auf als primär generalisierte Epilepsien, die beide Hirnhälften betreffen. Die häufig auftretenden fokalen Epilepsien sind in der Regel gut therapierbar: Bei etwa 60 bis 70 Prozent der Patient*innen führt die Behandlung einer fokalen Epilepsie mit Antiepileptika zur Anfallsfreiheit.2,3
Man unterscheidet folgende Arten von fokalen Anfällen:
Bei einem komplex-fokalen Anfall nimmt der/die Patient*in den epileptischen Anfall nicht bewusst wahr und kann sich später nicht daran erinnern. Dies ist die bei Erwachsenen am häufigsten beobachtete Anfallsform.
Während eines nicht bewusst erlebten fokalen Anfalls ist eine direkte Ansprache des/der Patient*in nur bedingt möglich. Begleitend zum Anfall können dennoch komplexe Handlungsabläufe durchgeführt werden: So kann es beispielsweise vorkommen, dass der/die Betroffene plötzlich aufspringt und einen Tisch quer durch das Zimmer schiebt. Trotz der aktiven Handlung ist das Bewusstsein während des Anfalls mehr oder weniger eingeschränkt.
Die bewusst erlebten fokalen Anfälle treten in unterschiedlichen Formen auf:
Ein bewusst erlebter fokaler Anfall, der nur wenige Sekunden andauert, wird als Aura bezeichnet. Zum einen können Auren häufig in einen fokalen Anfall mit Bewusstseinsstörung übergehen (der/die Betroffene ist nicht in der Lage, sich an den Anfall zu erinnern). Zum anderen können Auren einem Anfall vorangehen, der sich weiter auf beide Gehirnhälften ausweitet (auch fokal zu bilateral tonisch-klonischem oder sekundär generalisierter Anfall genannt).
Bei bewusst erlebten fokalen Anfällen ist der/die Betroffene häufig ansprechbar und erlebt den epileptischen Anfall mit. Gleichzeitig kann er/sie aber nichts gegen die Symptome unternehmen, wie z.B. gegen das Zucken der Hand.
Welche Anzeichen weisen auf einen fokalen epileptischen Anfall mit nicht motorischem Beginn hin? Die Symptome fokaler Anfälle richten sich nach dem Ursprungsort im Gehirn. Fokale mit nicht motorischem Beginn, äußern sich durch Handlungen, die nicht durch typische Bewegungsmuster gekennzeichnet sind, sondern vielmehr durch Veränderungen von Gefühlen oder anderen Körpervorgängen wie:
Auch die Sinneswahrnehmung des/der Patient*in kann gestört werden. So können Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Tasten beeinträchtigt werden. Beispielsweise könnte der/die Betroffene Blitze sehen, Geräusche oder Stimmen hören, einen komischen Geschmack im Mund wahrnehmen, etwas Merkwürdiges riechen sowie unter Temperatur-Missempfindungen, Kribbeln oder Lähmungserscheinungen leiden.
Fokale Anfälle mit motorischem Beginn äußern sich durch unfreiwillige Veränderungen der Muskelbewegung (Motorik). Häufig kommt es dabei zu:
Manche Epilepsie-Patient*innen wiederholen ständig bestimmte Handlungsmuster. Dafür gibt es einen medizinischen Begriff: Die sogenannten Automatismen prägen häufig nicht bewusste erlebte fokale Anfälle.
Typische Automatismen bei nicht nicht bewusst erlebten fokalen Anfällen:
Auren können nach ihrem Erscheinungsbild näher bezeichnet werden.
Dieser fokale Anfall ist für Betroffene häufig schwer in Worte zu fassen. Das Gefühl steigt aus der Magengegend als ein Druckgefühl bis zum Hals auf.
Diese Auren gehen mit Veränderungen des Geruchssinns einher und werden meistens als unangenehm empfunden.
Betroffene erleben einen veränderten Geschmack im Mund, der häufig als „metallisch“ beschrieben wird.
Diese Auren spielen sich auf der Gefühlsebene ab. Es kann zu verstärkter Angst kommen, aber auch zu erhöhten Glücksgefühlen. Die Veränderungen können außerdem als vertraut („deja vu“) oder merkwürdig fremd („jamais vu“) wahrgenommen werden. Dies wirkt sich teilweise direkt auf gedankliche Vorgänge oder sogar die Zeitwahrnehmung aus.
Hier verändert sich der Gehörsinn. Es kann zu akustischen Halluzinationen kommen, die sich von einzelnen Tönen und Geräuschen, bis hin zu Melodien entwickeln können.
Typisch für eine visuelle Aura ist eine veränderte optische Wahrnehmung, z. B. das Empfinden von Verzerrtheit, Lichtblitzen, bunten Punkte oder eines eingeschränkten Gesichtsfeldes.
Es kommt zu seltsamen Körperwahrnehmungen, z.B. Kribbeln und Ameisenlaufen.
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht, bei welchen Epilepsien bzw. Epilepsiesyndromen und in welchem Alter fokale Anfälle auftreten können.
Epilepsie | In welchem Alter tritt sie auf | Typische Anfälle/Auren/Häufigkeit |
---|---|---|
Rolando-Epilepsie | Kinder (3 bis 12 Jahre) | Somatosensible Aura/Gefühlsstörungen, Speichelfluss, Muskelzuckungen auf einer Gesichtshälfte. Häufigste Epilepsie im Kindesalter (ca. 15%).4 Tonische Gesichtskrämpfe beginnen häufig im Schlaf. Sprachunfähigkeit kann auch postiktal (nach dem Anfall) bestehen bleiben. Mildere Bewusstseinseinschränkungen können auch interiktal (zwischen zwei Anfällen) auftreten.5 |
Primäre Lese-Epilepsie | Jugendliche | Verkrampfungen oder Zuckungen des Kiefers, der Zunge oder der Schlundmuskulatur beim Lesen – liest der/die Betroffene trotzdem weiter, kann sich ein sekundär-generalisierter Anfall entwickeln. |
Temporallappen-Epilepsie | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Bewusst erlebte fokale Anfälle, die sich zu nicht bewusst erlebten fokalen Anfällen entwicklen können, die epigastrische (auf den Oberbauch bezogene) Aura ist typisch. Es ist die häufigste Epilepsieform (ca. 40 % aller Epilepsien und 70 % aller fokalen Epilepsien).6 Ursache ist in vielen Fällen eine sogenannte Hippokampussklerose (Ammonshornsklerose; Signalveränderungen des Hippocampus). Diese Veränderungen der Hirnstruktur können durch eine Enzephalitis (Gehirnentzündung), Entwicklungsstörung, neurodegenerative Erkrankungen oder Tumore verursacht werden. Es handelt sich dann um eine strukturelle oder immunologische Epilepsie. |
Frontalllappen-Epilepsie | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Kurze bewusst und nicht bewusst erlebte Anfälle in hoher Frequenz, denen meistens eine Aura vorausgeht. Häufig motorische Symptome wie Strampeln oder Um-sich-Schlagen. Der Kopf wird oft vom Epilepsie-Herd weggedreht, blickt also zur gesunden Seite/Hirnregion. Auch eine Tonisierung (erhöhte Muskelspannung), Speichelfluss, Sprachhemmungen und Aufmerksamkeitsstörungen (Pseudo-Absencen) können auftreten. Etwa 10 % aller fokalen Epilepsien sind Frontallappen-Epilepsien. |
Parietallappen-Epilepsie | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Seltene Form der Epilepsie mit bewusst erlebten fokalen Anfällen, die vor allem durch sensorische Symptome geprägt werden, wie z.B. Schwindel, Ameisenlaufen, Taubheitsgefühle und Halluzinationen (vor allem akustische). Zusätzlich kann sich ein solcher Anfall durch den sogenannten "march of convulsion" (Ausbreitung motorischer und sensibler Symptome von außen nach innen) zu einem Jackson-Anfall entwickeln. Jeder fokale Anfall, der sich durch den "march of convulsion" ausbreitet, wird, unabhängig von seinem eigentlichen Herd/Ursprung als Jackson-Anfall bezeichnet. Auch ein Übergang der Parietallappen-Epilepsie hin zu temporalen und frontalen Anfällen ist möglich, die dann also den Symptomen einer Temporallappen- oder Frontallappen-Epilepsie ähneln.7 |
Okzipitallappen-Epilepsie | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Häufiger sind hier generalisierte Anfälle. Aber auch bewusst erlebte fokale Anfälle sind möglich, die sich schnell zu sekundär-generalisierten Anfällen (auf weitere Hirnregionen) ausweiten. Bei fokalen Anfällen dieser Art sind optische Halluzinationen bzw. eine Wahrnehmung von Blitzen oder Lichtpunkten typisch. Die Okzipitallappen-Epilepsie entwickelt sich häufig zu temporalen und frontalen Anfällen weiter.5 |
Was unterscheidet einen generalisierten von einem fokalen Anfall? Im Gegensatz zu fokalen Anfällen sind bei generalisierten Anfällen immer beide Gehirnhälften betroffen. Fast alle Formen der „generalisierten Anfälle“ beinhalten den Verlust des Bewusstseins. Eine Ausnahme sind in diesem Fall die myoklonischen Anfälle (ruckartigen Zuckungen), bei denen das Bewusstsein meist erhalten bleibt. Typisch für generalisierte Epilepsien sind Krampfanfälle, also Anfälle mit motorischen (die Bewegung betreffenden) Symptomen. Sie treten bei generalisierten Anfällen häufiger auf als bei fokalen Anfällen.
Typische motorische Symptome:
Während eines Anfalls kann die Ausbreitung unterschiedlich verlaufen und das gesamte Hirnareal betreffen. Generalisierte epileptische Anfälle treten in verschiedenen Unterformen auf.
Generell werden Anfälle einer generalisierten Epilepsie in zwei Kategorien unterteilt:
Die meisten generalisierten Anfälle gehen mit einer Bewusstseinsstörung einher, weshalb hier nicht – wie bei den fokalen Anfällen - zwischen bewusst- und nicht bewusst-erlebten Anfällen unterschieden wird.
Bei Absencen kommt es zu einer plötzlichen Bewusstseinsstörung, so dass der/die Betroffene seine/ihre momentane Tätigkeit für die Dauer des Anfalls unterbricht. Es handelt sich hierbei um nicht-motorische generalisierte Anfälle, die als mildere Form einer generalisierten Epilepsie betrachtet werden. Es kommt nämlich nicht zum Verkrampfen oder zum Sturz, sondern zu einem geistigen Aussetzer bei den Betroffenen. Deshalb wurden Absencen früher auch als „Petit mal“ bezeichnet, was man auch als „das kleine Übel“ übersetzen könnte (im Vergleich zum motorischen "Grand mal"-Anfall, dem "großen Übel").
Die Betroffenen starren bei dieser Form eines epileptischen Anfalls oft ins Leere und haben ein ausdrucksloses Gesicht. Die Anfälle können mehrere Sekunden dauern und sich stark gehäuft über den Tag wiederholen. Absencen gehen, im Gegensatz zu vielen anderen epileptischen Anfällen, meist keine Aura und kein Prodrom voraus. Der/Die Patient*in kann sich an den Anfall nicht erinnern und fährt mit seiner/ihrer Tätigkeit nach dem Anfall wieder fort. Obwohl diese Anzeichen typisch für Absencen sind, werden sie von Laien vielfach nicht als Symptome einer Epilepsie erkannt. Absence-Epilepsien sind eine häufige Form der generalisierten Epilepsien des Kindesalters und werden zunächst meist als Unkonzentriertheit oder Träumerei missinterpretiert. Sie werden mit antiepileptischen Medikamenten behandelt, wodurch Eltern und Kinder die Anfälle meist gut unter Kontrolle bekommen. Die Prognose ist also günstig. Bis zu 80 % der Betroffenen werden durch eine Therapie anfallsfrei. Es kann zu wenigen Anfällen innerhalb eines Jahres bis hin zu mehreren hundert am Tag kommen. Wie oft epileptische Anfälle dieser Art auftreten, hängt vom individuellen Krankheitsbild ab. Bei Erwachsenen und Jugendlichen sind Absencen zwar bekannt, jedoch treten sie weitaus häufiger im Kindesalter auf. Dabei sind Mädchen deutlich öfter betroffen als Jungen.
Absencen können weiter in Kategorien unterteilt werden:
Typische Absencen:
Atypische Absencen:
Während des Verlusts des Bewusstseins kommt es zu leichten Myoklonien (Rhythmischen Zuckungen). Davon können auch andere Teile des Gesichts, des Halses, der Schultern oder der Arme betroffen sein. Geht die Absence mit Myoklonien des Augenlids einher, spricht man von Lidmyoklonien.
Treten keine Bewusstseinsstörungen auf, sondern äußert sich der Anfall mit schnellen und ruckartigen Muskelzuckungen? Dann handelt es sich um einen myoklonischen Anfall. Dieser betrifft häufig Kopf und Arme, es können aber auch die Beine beteiligt sein.
Bei einem klonischen Anfall treten länger anhaltende rhythmische Zuckungen auf.
Tonische Anfälle sind gekennzeichnet durch eine andauernde Muskelanspannungen, die länger anhalten kann. Meist dauert ein solcher epileptischer Anfall aber nur wenige Sekunden und er tritt oft im Schlaf auf. Säuglingen und Kindern sind öfter betroffen als Erwachsene. Geht der tonische Anfall in einen klonischen Anfall über, dann spricht man von einem tonisch-klonischen Anfall, dem sog. "Grand-mal-Anfall".
Der tonisch-klonische Anfall oder auch Grand-mal-Anfall ist die am häufigsten mit der Krankheit Epilepsie in Verbindung gebrachte Anfallsform.
Die Symptome dieses epileptischen Anfalls äußern sich meist in einem initialen Schrei des/der Patient*in. Auch von einem Stöhnen berichten Angehörige häufig. Anschließend kommt es zum Bewusstseinsverlust, weshalb auch akute Sturzgefahr zu Beginn eines tonisch-klonischen Anfalls besteht. Dem folgt eine Anspannung der gesamten Körpermuskulatur (tonische Phase), die dann in Zuckungen des Körpers übergeht (klonische Phase). Es kann auch zu vermehrtem Speichelfluss bzw. Schaum vor dem Mund kommen.
Aufgrund des Bewusstseinsverlustes können sich Patient*innen im Nachhinein nicht mehr an den Anfall erinnern kann, es kommt also zu einer Amnesie für die Dauer des Anfalls. Auch die Blaufärbung der Lippen (Zyanose) ist ein typisches Epilepsie-Symptom, wenn es in Zusammenhang mit einem Grand-mal-Anfall auftritt. Die Blaufärbung entsteht durch die Verkrampfung der Atemmuskulatur während des Anfalls, so dass Betroffene keine Luft bekommen. Der Atemstillstand (Apnoe) kann bis zu 30 Sekunden andauern, führt aber nicht zum Ersticken der Patient*innen. Im Anschluss an einen Grand-mal-Anfall sind die meisten Patient*innen sehr erschöpft und müssen sich erholen. Diese Phase der Reorientierung kann ein bis zwei Stunden dauern. Hier kann es gelegentlich zum sog. postiktalen Schlaf kommen.
Die klinische Untersuchung zeigt außerdem folgende Symptome eines Grand-mal-Anfalls:
Ein Grand-mal-Anfall verläuft in zwei Phasen:
1. Phase – tonisch:
2. Phase – klonisch:
Nach dem Anfall
Verliert man die Muskelkraft, spricht man von einem atonischen Anfall. Diese epileptischen Anfälle resultieren häufig in Stürzen.
Epilepsie | In welchem Alter tritt sie auf | Typische Anfälle / Häufigkeit |
---|---|---|
Lennox-Gastraut-Syndrom | Kinder (2 bis 6 Jahre) | Typisch sind mehrere Anfälle pro Tag, wobei keine andere Form der Epilepsie eine so große Vielfalt der Anfallsformen aufweist. Am häufigsten sind tonische Anfälle, die bei 90% der betroffenen Kinder im Schlaf auftreten.8,9 Auch myoklonische Anfälle sind häufig, vor allem wenn das Kind müde ist. Doch auch alle anderen Anfallsformen wie atonische Anfälle, atypische Absencen und auch Grand-mal-Anfälle können vorkommen. Außerdem kann das Syndrom oft zu einem Status epilepticus (SE) führen |
Dravet-Syndrom (SMEI) | Babys / Kleinkinder (3. bis 12. Lebensmonat) | Eine sehr seltene Form der Epilepsie, die bei Jungen häufiger als bei Mädchen auftritt und die geistige Entwicklung beeinträchtigen kann. Sie wird auch als schwere frühkindliche Grand-mal-Epilepsie oder schwere myoklonische Epilepsie im Säuglings- und Kleinkindalter (SMEI = Severe Myoclonic Epilepsy in Infancy) bezeichnet. Symptomatisch äußert sich das Dravet-Syndrom unter anderem durch heftige rhythmische Zuckungen der Muskeln von Armen, Beinen und Gesicht sowie durch Versteifungen der Glieder und des Rumpfes, gepaart mit Bewusstlosigkeit. Die Anfälle wiederholen sich ungewöhnlich rasch und können in einen Status epilepticus münden. |
Kindliche Absence-Epilepsie (CAE = Childhood Absence Epilepsy) | Kinder (4 bis 10 Jahre) | Kurze und eher unkomplizierte Absencen, die für fünf bis zwanzig Sekunden anhalten. Typisch sind kurze Phasen des Starrens, die unvermittelt während einer Aktivität auftreten. Begleiterscheinungen können Schmatzen, Seufzen oder das Flattern der Augenlider sein. Auch leichte Zuckungen des Kopfes sind möglich. |
Juvenile Absence-Epilepsie (JAE) | Jugendliche | Es kommt häufig zu sporadisch auftretenden Absencen, die aber auch mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und myoklonischen Anfällen einhergehen können, allerdings eher selten. Im Verlauf der Erkrankung kann sich außerdem eine Aufwach-Grand-mal oder eine juvenile myklonische Epilepsie entwickeln. |
Juvenile myoklonische Epilepsie (JME) | Jugendliche (10 bis 18 Jahre) und Erwachsene | Die JME tritt meist zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr erstmalig auf. Typisch sind myoklonische Zuckungen (Patient*in ist bei Bewusstsein), die arhythmisch vor allem in Schultern und Armen auftreten. Es kommt auch zum „Wegschleudern“ der Extremitäten, ähnlich wie bei einem elektrischen Schlag. Die Myklonien ohne, oder nur mit leichter Bewusstseinsstörung, können sich zu tonisch-klonischen Anfällen mit Bewusstseinsstörung entwickeln. Meistens treten die Anfälle nach dem Aufstehen auf, vor allem wenn der/die Betroffene unvermittelt geweckt wird. Wenig Schlaf, Alkoholkonsum und die sogenannte „Flickerstimulation“ (Auslöser wie Stroboskoplicht) erhöhen die Anfallswahrscheinlichkeit. Im weiteren Verlauf der Epilepsie kann es auch zu Grand-mal-Anfällen kommen. |
Aufwach-Grand-mal | Jugendliche (15 bis 17 Jahre) | Bei dieser Form der Epilepsie kommt es innerhalb kurzer Zeit nach dem Aufstehen zu tonisch-klonischen Anfällen. Bei Entspannung kann es ebenfalls zu Anfällen kommen, weshalb diese auch als sogenannte Feierabend-Anfälle bezeichnet werden. Die Anfälle treten eher selten auf und sind mit einer individuellen Medikation typischer Antiepileptika gut in den Griff zu bekommen. |
West-Syndrom (BNS-Epilepsie) | Babys und Kleinkinder (3. bis 12. Lebensmonat) | Diese Form der Epilepsie ist altersgebunden und hängt ursächlich stark mit sehr frühen organischen Hirnschäden oder Auswirkungen anderer Erkrankungen auf das Gehirn zusammen. Die starke Altersgebundenheit ist markant dafür, dass diese Epilepsie eng mit dem Reifungszustand des Gehirns verknüpft ist. Typisch sind die drei unterschiedlichen Anfallsformen Blitz-Nick-Salaam, weshalb die Erkrankung auch als BNS-Epilepsie bezeichnet wird. Blitz-Anfälle sind heftige myoklonische Zuckungen, die den gesamten Körper oder einzelne Körperregionen durchziehen, aber nur für Sekundenbruchteile. Auffällig ist vor allem die Beugehaltung der Beine, während auch generell eher Beuge- als Streckmuster typisch sind. Nick-Anfälle bezeichnen Zuckungen der Muskulatur des Nackens und des Halses, wobei das Kinn zur Brust gebeugt oder der Kopf ruckartig eingezogen wird, was einem Nicken ähnelt. Bei den Salaam-Anfällen bewegen sich Kopf und Rumpf ruckartig nach vorne. Die Arme werden nach oben geworfen und wieder gebeugt, wobei es auch zu einem Zusammenführen der Hände vor der Brust kommen kann. In langsamer Abfolge ähneln diese Bewegungen dem orientalischen Friedensgruß „Salaam“, wonach die Anfälle benannt wurden. Die Anfälle treten häufig nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen auf, können aber auch während des Schlafens einsetzen und zum Aufwachen führen. |
Doose-Syndrom (MAE = Myoklonisch Astatische Epilepsie) | 2 bis 6 Jahre | Hierbei handelt es sich um eine seltene Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Anfällen. 2-4 % der Kinder mit Epilepsie sind betroffen und Jungen in etwa doppelt so häufig wie Mädchen.10 Charakteristisch sind myoklonische und myoklonisch-atonische Anfälle. Die Anfälle dauern nur wenige Sekunden, können anfangs aber in sehr hoher Frequenz auftreten. Die atonische Komponente der Anfälle besteht aus einem plötzlichen Verlust der Muskelpannung, wodurch die Patient*innen sofort in sich zusammenfallen. |
Ohtahara-Syndrom | Babys (ab 10 Tagen nach der Geburt bis zum 3. Monat) | Eine äußerst seltene Form der Epilepsie. Sie tritt bei Neugeborenen bereits innerhalb von 10 Tagen bis 3 Monaten nach der Geburt auf. Am typischsten sind tonische Anfälle, die bis zu einer Minute anhalten. Doch auch atypische Absencen, komplex-fokale Anfälle und myoklonische Anfälle können auftreten. Ein häufiges Anzeichen ist die Muskelhypotonie, eine Verringerung der Muskelspannung, wodurch die Säuglinge ihren Kopf nicht dem Alter entsprechend selbst aufrechthalten können. |
Zuerst gilt es, einige Grundregeln bei der ersten Hilfe zu beachten. Die meisten epileptischen Anfälle klingen nach einigen wenigen Minuten von allein ab. Es ist wichtig, die Patient*innen vor Verletzungen am Kopf zu schützen und gegebenenfalls aus einer Gefahrenzone zu bringen, wenn der Anfall z.B. beim Überqueren einer Straße auftritt. Diese Regeln gelten insbesondere bei (großen) Krampfanfällen, weniger bei Absencen oder Auren.
Grundregeln:
Erste Hilfe während des Anfalls:
Erste Hilfe nach dem Anfall:
In der Regel hört ein großer Anfall (Grand Mal, generalisiert tonisch-klonischer Anfall) nach ca. 2-4 Minuten von selbst auf; er ist trotz seines bedrohlichen Aussehens nicht lebensgefährlich. In den allermeisten Fällen ist während eines großen Anfalls eine ärztliche Maßnahme nicht erforderlich. Dauert ein solcher Anfall aber länger als gewöhnlich (länger als 5 Minuten), so spricht man vom Status epilepticus. In diesem Fall müssen besondere Maßnahmen zur Unterbrechung des Anfallsgeschehens ergriffen und der Notruf gewählt werden. Das gilt nicht für Auren oder Absencen. Diese sind auch dann ungefährlich, wenn sie ein paar Minuten anhalten. Vorsicht ist auch dann geboten, wenn einzelne große Anfälle Anfälle zwar nur kurz anhalten, aber in sehr kurzer Zeit nacheinander auftreten.
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Kleine Anfälle z.B. Absencen bedürfen einer ruhigen und beschützenden Begleitung und einer guten Beobachtung. Eine Unterbrechung des Anfallsgeschehens (z. B. mit einer Rectiole oder bei Kindern mit bukkalem Midazolam) ist hier in aller Regel nicht erforderlich, auch wenn der Anfall über mehrere Minuten andauern sollte. Das Vorgehen sollte immer in Absprache mit dem/der behandelnden Arzt/Ärztin erfolgen. Nur bei ungewöhnlich langer Dauer muss der/die Arzt/Ärztin hinzugezogen zu werden.
Im Falle eines Status epilepticus (Anfallsdauer >5 Minuten) oder in anderen Notsituationen kann es notwendig sein, sofort Medikamente zu geben und den epileptischen Anfall zu unterbrechen, um schwerwiegende Folgen zu verhindern.
Hierzu werden üblicherweise Benzodiazepine als Notfallmedikamente eingesetzt:
In vielen Fällen wird diese Notfallmedikation nur von Notärzt*innen oder Rettungsassistent*innen verabreicht. In Rücksprache mit dem/der Arzt/Ärztin erhalten aber auch Eltern von epilepsiekranken Kindern oder die Partner*innen von Epilepsie-Patient*innen entsprechende Benzodiazepine zur Verabreichung im Notfall. Entscheidend ist hier die Darreichungsform: Für entsprechende Ärzt*innen stehen die Medikamente als Lösungen zur intravenösen Verabreichung bereit.
Für die Erstversorgung im Notfall durch Angehörige, Lehrer und Pflegepersonal werden andere Darreichungsformen angeboten. Clevere Lösungen sind hier wichtig, weil viele Epilepsie-Patient*innen während eines Anfalls nicht einfach eine Tablette schlucken können: Für Kinder und Jugendliche wird häufig Midazolam in flüssiger Form eingesetzt, da es während eines Anfalls einfach mit vorgefüllten Applikationsspritzen in die Wangentasche gegeben werden kann. Der Wirkstoff wird dann über die Wangenschleimhaut aufgenommen, ohne dass der/die Betroffene diesen schlucken muss. Für Kinder und auch Erwachsene ist Diazepam in sogenannten Rektaltuben erhältlich und wird über den After angewendet, um gefährliche Anfälle schnell zu unterbrechen. Beide Wirkstoffe wirken bereits innerhalb von wenigen Minuten.
Wie erkennt man einen Status epilepticus und wofür steht diese Bezeichnung genau? Der „Status epilepticus“ ist ein potentiell lebensbedrohlicher Notfall. Er beschreibt einen langanhaltenden epileptischen Anfall, der sich aus allen Anfallsformen heraus entwickeln kann. Im klinischen Alltag wird ein konvulsiver Anfall (Krampfanfall, i.d.R. generalisiert-tonisch-klonischer Anfall), der länger als 5 Minuten anhält, als Status epilepticus bezeichnet. Ein Status epilepticus birgt die Gefahr, dass es während dieses lange andauernden Anfalls zu einer erheblichen Schädigung des Gehirns bzw. der Gesundheit kommt.
Drei sehr häufig auftretende Status epilepticus-Formen:
Der konvulsive Status äußert sich durch anhaltende (>5 Minuten) tonisch-klonische Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit des/der Betroffenen.
Der non-konvulsive Status epilepticus ist ein anhaltender fokaler Anfall ohne motorische Symptome, oder eine lang anhaltende Absence (Absence-Status). Ab einer Dauer von 15 bis 20 Minuten spricht man von einem non-konvulsiven Status epilepticus. Die Betroffenen sind in der Regel ansprechbar, jedoch ist das Bewusstsein gestört. Der non-konvulsive-Status epilepticus kann sehr unterschiedlich verlaufen und ist meist nicht lebensbedrohlich.
Hier eigener Abschnitt zum akut symptomatischen Anfall (s.o.)
Anfälle, die nichts mit Epilepsie zu tun haben
Akut symptomatische Anfälle – die ILAE definiert einmalige Anfälle als sogenannte akut symptomatische Anfälle. Sie stehen nicht direkt mit Epilepsie in Verbindung, sondern ähneln den epileptischen Anfällen nur. Die Ursachen sind hier jedoch andere. Sie treten in direktem Zusammenhang mit anderen Erkrankungen, in akuten Krankheitssituationen auf, z.B. als Folge einer Unterzuckerung oder einer Hirnschädigung, sowie auch nach einem Schlaganfall und sind einmalige Ereignisse. Dazu zählen zum Beispiel auch die im Kindesalter häufig auftretenden Fieberkrämpfe.
1 Forsgren L et al. Incidence and clinical characterisation of unprovoked seizures in adults. A prospective population-based study. Epilepsia 1996;37(3):224-229. doi:10.1111/j.1528-1157.1996.tb00017.x.
2 Sander JW et al. National General Practice Study of Epilepsy: newly diagnosed epileptic seizures in a general population. Lancet 1990;336(8726):1267-1271. doi:10.1016/0140-6736(90)92959-l.
3 Brandt C. Akut-symptomatische epileptische Anfälle: Inzidenz, Prognose und Aspekte der antiepileptischen Behandlung. Aktuelle Neurologie 2012;39(09):480-485.
4 Hacke W. Neurologie. 14. Auflage, Springer Verlag 2016. ISBN: 978-3-662-46891-3.
5 Fröscher W. Die Epilepsien: Grundlagen - Klinik - Behandlung. Schattauer Verlag 2004. ISBN: 978-3-794-52131-9.
6 Neubauer BA, Groß S, Hahn A. Epilepsie im Kindes- und Jugendalter. Dtsch Arztebl 2008;105(17):319-27. doi: 10.3238/arztebl.2008.0319.
7 Schmidt D, Elger CE. Praktische Epilepsiebehandlung. 3. Auflage, Georg Thieme Verlag 2005. ISBN: 978-3-131-16823-8.
8 DocCheck. Lennox-Gastaut-Syndrom. Online verfügbar unter: https://flexikon.doccheck.com/de/Lennox-Gastaut-Syndrom. Zuletzt abgerufen: April 2021.
9 RRoger J, Dravet C, Bureau M. The Lennox-Gastaut syndrome. Cleve Clin J Med 1989;56 (Suppl Pt 2):172-180.
10Schmidt Dieter. Epilepsie. Diagnostik und Therapie für Klinik und Praxis. Schattauer Verlag 1997; S. 35. ISBN 978-3794517893.
xxx Amboss. Generalisierte Epilepsien im Kindesalter. Online verfügbar unter: https://www.amboss.com/de/wissen/Generalisierte_Epilepsien_im_Kindesalter. Zuletzt abgerufen: April 2021.
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