Das Epilepsiemotiv in der christlichen Kunst

Unbek. Meister: Heiliger Valentin, 15. Jh., Pfarrkirche St. Andreas in Karlstadt.

Bildnerische Darstellungen (Malerei, Skulptur) des Heiligen Valentin als ‚Fallsucht-Patron’ finden sich im mitteleuropäischen Raum vor allem aus dem 17. bis 19. Jahrhundert; derartige Zeugnisse aus der Zeit vor 1500 sind dagegen besonders selten.

In der Pfarrkirche St. Andreas in Karlstadt am Main kann man jedoch neben dem südlichen Torbogen, der zum Chorumgang führt, ein Fresko aus der Mitte des 15. Jahrhunderts entdecken, das den Bischof Valentin als Schutzpatron der Epilepsiekranken darstellt. (Der Schriftzug in spätgotischen Lettern über der Malerei lässt keinen Zweifel an der Identität des Heiligen!) Es handelt sich hier sicherlich um eine der ältesten Darstellungen mit dieser Thematik in unserem Kulturraum.

Anonym: Heilige Anastasia, Votivtafel aus Benediktbeuren, 1816.

Neben dem bekanntesten und wichtigsten Schutzpatron gegen Epilepsie im christlichen Mittelalter, dem Heiligen Valentin, wurden auch zahlreiche andere Heilige um Hilfe gegen diese gefürchtete Krankheit angerufen; so z. B. die Heilige Anastasia, in deren Person sich die Legenden zweier Märtyrerinnen vermischen: Anastasia von Sirmium (Balkan) und Anastasia, die Römerin; für beide wird das Todesjahr 304 angegeben. Anastasia hatte im Mittelalter eine große Bedeutung als "Kopfheilige", also als Helferin gegen unterschiedliche Krankheiten und Leiden im Kopfbereich. Das Patronat, das vorwiegend im deutschen und dabei besonders im bayrischen Raum gepflegt wurde, beruht wahrscheinlich darauf, dass im Kloster Benediktbeuren, dem Zentrum des mittelalterlichen Anastasia-Kultes, eine Kopfreliquie der Heiligen aufbewahrt wird, möglicherweise aber auch darauf, dass ein einflussreicher Römer, der Anastasia und ihren drei Mägden in böser Absicht nachstellte, in Wahnsinn verfiel und ‚Tobsuchtsanfälle’ erlitt.

Obwohl im Mittelalter über die Ursache der ‚Fallsucht’ und ihren organischen Ausgangspunkt große Unklarheiten, mitunter auch abstruse Vorstellungen herrschten, galt sie doch überwiegend als eine ‚Kopfkrankheit’. So wurde Anastasia als Helferin gegen dieses Leiden angerufen, wie eine schöne Votiv-Tafel aus Benediktbeuren belegt:

In der oberen Bildhälfte ist links die Heilige Anastasia als Märtyrerin auf dem Scheiterhaufen dargestellt, rechts ist die Gottesmutter wiedergegeben, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hält. Unter dieser Pieta kniet ein Bittsteller (Vater des 'fallsüchtigen' Mädchens?). Links unten findet sich eine vergleichsweise realistische Ansicht der Klosteranlage in Benediktbeuren, und in der Mitte des Bildes hat der Künstler das kranke Mädchen im Anfall platziert. Besonders eindrücklich sind die Hand- und Fingerposition sowie die Gesichtszüge des Mädchens mit offenem Mund, aufgerissenen Augen und starrem Blick wiedergegeben; die in den großen Gelenken gebeugten Gliedmaßen lassen einen epileptologisch erfahrenen Betrachter möglicherweise an ein dissoziiertes Anfallsgeschehen (nämlich an einen psychogenen Anfall) denken.

Joseph Anton Feuchtmayer: Statue des Heiligen Ulrich aus dem Kloster St. Peter auf dem Schwarzwald, 1728.

Nach der Pest war die Epilepsie im Mittelalter die Krankheit, für die die meisten Schutzpatrone zur Verfügung standen, d. h. also christliche Heilige, die durch ihre Fürsprache bei Gott den Kranken Hilfe und Heilung bringen konnten. In früheren Folgen unseres Kunstforums haben wir in dieser Funktion bereits den Hl. Valentin, den bekanntesten und wichtigsten ‚Fallsucht-Patron’, und die Hl. Anastasia kennen gelernt.

Auch der Hl. Ulrich von Zell – nach seinem Geburtsort auch Hl. Ulrich von Regensburg genannt – wird als mächtiger Fürsprecher bei Epilepsie (aber auch bei anderen Krankheiten) angerufen.

Ulrich (1029-1093) war als Benediktinermönch u.a. in Cluny und Hirsau bevor er in Zell (Vilmarszell im Möhlintal bei Freiburg i. Br., im 14. Jh. umbenannt in ‚St. Ulrich’) ein Kloster gründete. Er war wesentlich an der Cluniazensischen Klosterreform beteiligt; sein Hauptwerk ‚Consuetudines Cluniacenses’ war im Mittelalter eine sehr anerkannte, weit verbreitete Schrift.

Schließlich weisen in der Darstellung J. A. Feuchtmayers die ausgesprochen steif weggestreckten Arme auf einen gerade ablaufenden tonischen Anfall hin, während die beiden Kinder der Faller-Skulpturen eher einen schlaffen Zustand der Körper und der Extremitäten zeigen – hier könnte es sich also um sog. atonische Anfälle handeln.

Diese künstlerischen Details machen erneut deutlich, dass die Darstellung anfallskranker Menschen in der bildenden Kunst nicht selten Hinweise auf ‚epileptologisches’ und sozialmedizinisches Denken in ihrer Entstehungszeit geben können.

Domenichino: Fresko-Gemälde aus dem Kloster Grottaferrata, um 1609.

Wenn wir in der bildenden Kunst nach Epilepsie-Motiven Ausschau halten, so gelingt es gerade bei den Werken ‚alter Meister’ nicht immer, eindeutig zu differenzieren, ob es sich bei den dargestellten ‚Besessenen’ um psychisch-kranke, ‚hysterische’ oder epilepsiekranke Personen handelt. Eine Unterscheidung dieser Krankheitsbilder war auch für die Künstler selbst, für die zeitgenössischen Bildbetrachter und nicht einmal für die damaligen Ärzte einfach – zumal in den früheren christlich-geprägten Kunstepochen lange Zeit die Ansicht vorherrschte, dass sowohl psychiatrische Krankheiten als auch die ‚Fallsucht’ durch Dämonen und andere böse Geister hervorgerufen wurden.

Da in aller Regel begleitende Texte zu den einzelnen Bildern nicht vorliegen, kann der am medizinischen Hintergrund interessierte Kunstliebhaber nur auf Grund der vom Künstler dargestellten Symptome seine differential-diagnostischen Schlüsse ziehen – die allerdings nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis führen.

Domenico Zampieri, gen. Domenichino (1581-1641), hat das Fresco-Gemälde, das er zwischen 1608 und 1610 im süditalienischen Kloster Grottaferrata, angefertigt hat, mit ‚Santo Nilo libera un ossesso’(‚Der Hl. Nilus heilt einen Besessenen’) übertitelt. Das Bild zeigt den Hl. Nilus (den Gründer des Klosters), wie er mit gefalteten Händen kniend im Gebet verharrt, während sein Jünger (und späterer Biograph) Bartholomäus, der neben ihm vor einem Marienaltar steht, mit seiner rechten Hand einem von der Decke hängenden Gefäß eine geweihte Flüssigkeit entnimmt. Auf Geheiß des Heiligen hin – so lässt sich vermuten – wird Bartholomäus diese Flüssigkeit in den Mund des offensichtlich kranken Kindes träufeln, den er bereits mit seiner linken Hand offen hält.

Dieses Kind, der ‚Besessene’, ist offensichtlich nicht in der Lage, selbständig zu stehen, es ist nach hinten überstreckt und wird von einem älteren Mann (Vater?) gestützt. Auch Arme, Beine, Finger und Zehen sind extrem gestreckt, der Kopf ist krampfhaft nach links gewandt. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass die Augen in Schielstellung nach oben stehen und die Lippen des von Bartholomäus offengehaltenen Mundes blau verfärbt sind. In der rechten Bildhälfte sind die erschreckten und ängstlichen Familienangehörigen versammelt.

Heilige Brigida von Kaldare, Altar-Relief aus Neukirch, um 1520

Ein Altar-Relief aus Neukirch bei Rottweil weist darauf hin, dass auch die Heilige Brigida von Kaldare zu den ‚Fallsucht-Heiligen’ zu zählen ist. Ihr ist nämlich der spät-gotische Altar geweiht (um 1520), von dem aber nur noch ein eindrückliches Schnitzwerk als Fragment übrig geblieben ist; es präsentiert ein deutliches Epilepsie-Motiv (s. u.) und wird derzeit im Diözesanmuseum in Rottenburg a. N. aufbewahrt.

Die Hl. Brigida gehört zur ‚Trias Thaumaturga’, also zu den drei ‚wunderwirkenden’ Patronen Irlands: Hl. Patrick, Hl. Columban und eben die Hl. Brigida (Bridget). Die Hl. Brigida lebte um 450 – 520, war Äbtissin des von ihr gegründeten Klosters Kaldare und gilt bis heute als eine wichtige Patronin Irlands. Seit vielen Jahrhunderten wird sie von gläubigen Christen als Nothelferin bei vielen schweren und chronischen Krankheiten, bei Verletzungen und Behinderungen und in Geburtsnöten angerufen. Auch bei Krankheiten der Haustiere und des Viehs gilt sie – nicht nur in Irland sondern beispielsweise auch in bäuerlichen Regionen Deutschlands – als wichtige und wirksame Helferin.



Das kunstvoll geschnitzte, farbig gefasste Holzrelief zeigt insgesamt 11 Figuren. Die neun erwachsenen Personen stehen ganz offensichtlich im Zusammenhang mit Krankheit und Behinderung:

Ganz rechts sind zwei Personen dargestellt, von denen jede eine Klapper in der Hand hält – zwei ‚Aussätzige’ (Leprakranke), die durch das Klapper-Geräusch gesunde Mitmenschen auf die Gefahr einer Ansteckung hinweisen wollen. Nach links schließt sich ein Körperbehinderter mit einer hölzernen Beinprothese und zwei Krücken an. Neben ihm ist eine Person mit einer blutenden Kopfwunde erkennbar. Die beiden daneben stehenden Frauen, von denen die eine ein kleines Kind in Armen hält, mögen auf die Gefahr von Geburtsnöten und/oder auf ein krankes Kind aufmerksam machen. Ganz links ist ein Mann zu erkennen, dessen geschlossene Augen auf seine Blindheit hinweisen; er hält einen Stab in der Hand, mit dessen Hilfe er von einem rot gekleideten Knaben geführt wird. Zwischen dem Blinden und seinem kindlichen Führer ist ein weiterer Mann zu erkennen, dessen linke Hand von einer um die Schulter gebundenen Schlinge gehalten wird. Diese Szene weist möglicherweise auf eine Legende hin, nach der die Hl. Brigida einem Mann, dessen Hand durch einen unglücklichen Beilschlag abgehackt worden war, diese abgeschlagene Hand wieder angesetzt und zur Heilung gebracht hat.

Ehemalige Zisterzienser-Abtei Noirlac im Departement Cher (Frankreich)

'Morbus Sancti Germani‘ – ‚Krankheit des heiligen Germanus‘: Diese mittelalterliche Fallsucht-Bezeichnung weist auf eine der zahlreichen mediävalen Fallsucht-Patrone hin – auf den Heiligen Germanus. Welchem Heiligen dieses Namens tatsächlich im Mittelalter das Patronat über die Epilepsie zukam, ist nicht zweifelsfrei überliefert – möglicherweise dem ‚Saint Germain de Paris‘ (Namensgeber des weltweit bekannten Fußball-Clubs ‚Paris Saint- Germain‘), oder aber dem bekannteren ‚Saint Germain d’Auxerre‘ (dem in Frankreich eine große Zahl von Kirchen geweiht ist) oder schließlich dem weniger bekannten ‚Sanctus Germanus‘, der in der Nordschweiz und in Südbaden wirkte (‚Kulturbringer für das Münstertal‘)?

Am wahrscheinlichsten ist, dass die Ehre des Patronats und somit auch der Namensgebung ‚morbus sancti Germani‘ dem Heiligen Germanus von Auxerre zukommt (um 380-450 n. Chr.), denn nach mittelalterlichem christlichem Volksglauben war er auch speziell für die Tollwut und allgemein für Besessenheit ‚zuständig‘ – Krankheiten, deren Symptome und sozialer Stellenwert zu damaliger Zeit durchaus mit der ‚Fallsucht‘ vergleichbar waren.

Wallfahrtskirche Schenkenberg

Im baden-württembergischen Hegau, der vulkan-geprägten Landschaft nord-westlich des Bodensees, findet man in der Nähe der Gemeinde Emmingen-Liptingen (Landkreis Tuttlingen) die Schenkenbergkapelle. Schon im Mittelalter war dieser Ort eine häufig besuchte Wallfahrtsstätte: ‚Unsere liebe Frau vom Schenkenberg’. Die Barock-Kapelle, die heute den Platz eines zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgebrannten Kirchleins einnimmt, wurde um 1720/25 gebaut und 1935 (!) aufwendig renoviert. Beim Eintritt in den hellen Kirchenraum wird der Blick zunächst auf die Wallfahrtsmadonna am Hochaltar und auf die beiden barocken Seitenaltäre gelenkt. Dann fallen sehr bald die zahlreichen Votivtafeln an den Längswänden der Kirche auf, die in ihrer Gesamtheit wie eine bunte Wandbemalung wirken. Es dürfte sich dabei um etwa 150 Tafeln unterschiedlicher Größe handeln. Zumindest zwei von ihnen beziehen sich auf die fallende Sucht, den hinfallenden Wehtag – also auf die Epilepsie.

Mitte des 12. Jahrhunderts errichtete der Benediktiner-Mönch Magnus eine hölzerne ‚Zelle’ (Kapelle) für sich und seine aus Lindenholz geschnitzte, wundertätige Marienstatue; aus ‚Maria in der Zelle’, wurde dann Mariazell. Die Holzkapelle wurde später Mittelpunkt einer großen steinernen Kirche, die im 14. Jh. in gotischer Bauweise gestaltet und im 17. Jh. barockisiert wurde. Inzwischen war aus dem Gotteshaus mit seiner wundertätigen Statue bereits ein viel besuchter Wallfahrtsort geworden, an dem die Gottesmutter von unzähligen Gläubigen um ‚Hilfe in aller Not’ angefleht wurde. Zahlreiche in der Wallfahrtskirche aufbewahrte Votivtafeln, Mirakelbilder und Devotionalien legen Zeugnis von einer Jahrhunderte währenden Verehrung und Bittstellung ab.

Auf den Votivbildern, die an den Wänden der Emporen und Treppenaufgängen der Basilika angebracht sind, ist erstaunlich häufig die ‚fallende Krankheit’, die ‚Fallsucht’ thematisiert – Hinweis darauf, dass die Epilepsie in den vergangenen Zeiten ein besonders gefürchtetes, medizinisch kaum zu beeinflussendes Leiden war.

Das hier wiedergegebene Mirakelbild, d. h. ein Votivbild mit erklärendem Text, trägt die Jahreszahl 1483. Vor allem aus zwei Gründen ist es ausgeschlossen, dass das Bild in diesem Jahr entstanden ist: Zum einen entspricht die Bekleidung der dargestellten Personen nicht der Kleider-Mode der spät-gotischen Zeit, zum anderen zeigt die rechts oben wiedergegebene Mariazeller Basilika bereits den deutlichen barocken Umbau, der aber erst im 17. Jahrhundert vorgenommen wurde. Wäre im Textfeld eine Jahreszahl aus dem 18./19. Jh. angegeben, dann könnte eine solche Angabe mit den Bildinhalten der Mirakeltafel durchaus in Einklang gebracht werden.

In der Basilika des bedeutendsten Wallfahrtsortes in Österreich, Mariazell (Steiermark), finden sich mehrere Schatzkammern, darunter die sog. Westempore. Dort ist u. a. ein Holzschnitt-Zyklus aus dem Jahr 1520 untergebracht, auf dessen Darstellungen zahlreiche Wunderheilungen der in Mariazell verehrten Gottesmutter zu sehen sind. Unter diesen wiederum finden sich einige wundersame Heilungen von der Fallsucht, der Epilepsie.

Diese Werke wurden von Künstlern des Klosters (Mönchen?) nach der Erzählung der Betroffenen (bzw. deren Angehörigen) angefertigt und mit erklärenden Texten versehen (Mirakelbilder).

(Davon unabhängig wurden in den sog. Mariazeller Mirakelbüchern seit der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts die von Pilgern geschilderten Heilungen, die die Gläubigen der Fürbitte der Mariazeller Gnadenmutter zumaßen, von Mönchen allein in schriftlicher Form wiedergegeben – zunächst nur in lateinischer, später auch in deutscher Sprache.)

Auf den drei folgenden Kopien der 500 Jahre alten Holzschnitte wird die Epilepsie mit dem Namen ‚hinfallendes‘ bzw. ‚hochfallendes siechtum(b)‘ belegt; dies bedeutet, dass sowohl textlich als auch bildlich Sturzanfälle gemeint sind, wahrscheinlich im Sinne von Grand mal-Anfällen.

Auf allen drei Bildern ist in der oberen Bildhälfte die Gnadenmutter mit dem Jesuskind dargestellt, die von Anfallszeugen (wohl Familien-Angehörigen) um Hilfe gebeten wird; diese wurde, folgt man den Begleittexten, in jedem der drei Fälle auch gewährt.

Stil der Bilder und Details der Darstellungen weisen darauf hin, dass es sich jeweils um denselben Künstler bzw. um Mitarbeiter derselben Holzschnitz-Werkstatt gehandelt hat.

Für den kunst-interessierten Mediziner oder auch den medizinisch interessierten Kunsthistoriker bietet die Gnadenkapelle in Altötting eine Fülle von gut erhaltenen Votiv-Tafeln aus den letzten 5 Jahrhunderten, auf denen die Symptome gesundheitlicher Störungen wiedergegeben sind, oft auch die vermuteten Ursachen und die meist ungewöhnlichen, überwiegend religiös bestimmten Behandlungsmethoden. Auch der kunst-interessierte Epileptologe findet hier zahlreiche Abbildungen seines Fachgebietes, meist in naiver, un-professioneller Malweise und oft mit begleitenden Texten (s. ‚Das Epilepsiemotiv auf Votivtafeln’ dieser Kunstserie).

Aber auch eines der beherrschenden Kunstwerke der Altöttinger Stiftskirche selbst, nämlich das großformatige Bild des Hochaltars, zeigt ein eindrückliches Epilepsiemotiv:

Dieses um 1795 von Johann Jakob Dorner angefertigte Gemälde stellt die Gottesmutter Maria als ‚Helferin der Christenheit’ dar. Maria wird im oberen Teil des Bildes wiedergegeben, wie sie den Jesusknaben mit ihrem rechten Arm umfängt. Diese liebevolle Szene wird von der Taube des Heiligen Geistes bekrönt und von zahlreichen Engeln umspielt. Im unteren Bilddrittel wird gezeigt, wie zahlreiche Kranke den Himmelsmächten vorgestellt werden – unter dem vermittelnden Beistand der beiden Apostel-Patrone der Stiftskirche, nämlich des Heiligen Jakobus d. J. und des Heiligen Philippus., die rechts und links im mittleren Bildteil dargestellt sind.

Unter den Kranken sind ein blasses, apathisches (bewußtloses?) Kind, das von der Mutter flehentlich emporgehoben wird, ein liegender, ausgezehrter Mensch und ein Mann erkennbar, der durch eine Glocke in seiner Hand und durch eine Zeigebewegung hin zu seinem linken Ohr als taubstumm ausgewiesen ist.

Zwischen 1450 und 1500 wurde in der damals freien Reichsstadt und der heute bayrischen Großen Kreisstadt Dinkelsbühl auf den Resten von Vorgängerkirchen das spätgotische Gotteshaus St. Georg errichtet, eine dreischiffige Hallenkirche (Baumeister: Niclaus Es[e]ler). Diese Kirche zeichnet sich nicht nur durch ihre (spät-)gotische Baukunst und Monumentalität aus sondern auch durch wunderbare Kunstwerke im Innenraum, u. a. durch mehrere reich ausgestattete Altäre im Chorraum und in den Seitenschiffen.

Im romanischen Dom zu Gurk (Kärnten) hängt jeweils in der vor-österlichen Zeit das größte und am längsten bekannte Fastentuch Österreichs.

Fasten- oder Hungertücher können auf eine über 1000jährige Tradition zurückblicken. Diese Tücher haben ihren Sinn darin, in der Fastenzeit (Quadragesima, 40tägige Bußzeit vor Ostern) durch Verhüllen von Bildern, von Kruzifixen und vom heiligen Altargeschehen (Eucharistiefeier) das Heilsgeschehen vor dem gläubigen, letztlich aber doch sündigen  Christen zunächst verborgen zu halten, bevor dann am hohen Osterfest nach feierlicher Enthüllung Passion, Auferstehung und Erlösung wieder sichtbar und erfahrbar gemacht werden.

Das Gurker Fastentuch ist quadratisch und weist eine Größe von knapp 80 qm auf. Es besteht aus zwei gleich großen Leinentuch-Hälften und ist mit Temperafarben bemalt. Dargestellt ist biblisches Geschehen auf 99 deutlich von einander abgesetzten Bildfeldern; diese sind jeweils etwa 87 auf 87 cm groß, lediglich das letzte ist größer und misst rund 87 auf 175 cm. Ausgewählte Geschehnisse des Alten Testaments finden sich auf der linken Tuch-Hälfte (50 Szenen), die des Neuen Testaments sind auf der rechten (49 Szenen) wiedergegeben – die Themen reichen dabei von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht. Manche der Bilder weisen an ihrem Rand einen kurzen erklärenden Text auf, der mit kalligrafisch schön gestalteten gotischen Buchstaben ausgeführt ist. Jede Tuchhälfte gliedert sich in 10 horizontale Reihen (Zeilen) und 5 vertikale Spalten.

Dieses Gurker Fastentuch wurde 1458 in der Werkstatt des Konrad von Friesach angefertigt. Von 2018 bis 2020 wurde es aufwendig restauriert.

Die ‚Transfiguration’, die Verklärung Christi, wurde vor allem in der Renaissance- und Barock-Zeit immer wieder von bedeutenden Malern in Szene gesetzt, dabei häufig in Verbindung mit der Heilung des ‚mondsüchtigen Knaben’. (Es sei auf die in dieser Kunstgalerie beschriebenen Werke von Raffael und Rubens hingewiesen.) Auch Hans Holbein der Ältere (um 1465-1524) hat sich dieses Themas angenommen. In der Staatsgalerie Augsburg in der ehemaligen Katharinenkirche ist das Epitaph der Schwestern Walther zu sehen, das Holbein 1502 in Form einer spitzbogigen, dreiteiligen Tafel gemalt hat.
Die Schwestern Anna und Maria Walther, zu deren Ehre diese Tafel angefertigt wurde (s. Textfeld), waren Töchter des Stifters Ulrich Walther (1418-1505), eines begüterten Kaufmanns und Patriziers in Augsburg, und hatten als Ordensfrauen (Dominikanerinnen) das Katharinenkloster in ihrer Heimatstadt zu Beginn des 16. Jh.’s entscheidend mitgeprägt.
Das mit Öl auf Holz gemalte Werk (Größe ca. 180x270 cm) zeigt im mittleren Teil die Transfiguration Christi; dabei sind – wie bei Raffael und Rubens – drei Apostel und zwei Propheten Zeugen des Geschehens. Im linken Drittel des Gemäldes wird die wunderbare Brotvermehrung gezeigt, darunter ist Ulrich Walther mit seinen 8 Söhnen zu sehen. Das rechte Drittel der Tafel stellt dar, wie der ‚mondsüchtige’ (epilepsiekranke) Knabe Christus vorgestellt wird. Unter dieser Szene ist die Frau des Stifters, Barbara, mit ihren 14 (!) Töchtern wiedergegeben. (Die beiden neben der Mutter stehenden Ordensfrauen sind die oben erwähnten Töchter Anna und Maria.)

Auf dem Gothaer Tafelalter, einem Gemälde-Zyklus, der um 1540 im württembergischen Herrenberg in der Werkstatt Heinrich Füllmaurers (1500-1548) entstanden ist, werden auf 157 mit Öl auf Nadelholz gemalten Tafeln Inhalte des Neuen Testaments ins Bild gesetzt. (Der Name des Altars steht im Zusammenhang mit seinem derzeitigen Aufstellungsort im Herzoglichen Museum in Gotha.)

Um den feststehenden Mittelteil des Altars, der die Kreuzigung Christis zeigt, sind auf 12 klappbaren Seitenflügeln (paarweise rechts und links um das Mittelbild angeordnet) zahlreiche in den vier Evangelien beschriebene Szenen dargestellt; unter diesen finden sich manche Wunderheilungen, die Christus während seines irdischen Daseins vor den Augen seiner Mitmenschen vollbracht hat. Bei der speziellen Suche nach der Heilung des ‚mondsüchtigen‘, epilepsiekranken Knaben wird der Suchende nicht enttäuscht: Auf Tafel 87 (3. Bild in der 2. Reihe), die sich nach Öffnung von acht (2x4) Außenflügeln auf der dritten Gesamtansicht findet, entdeckt er die gesuchte Szene, die in den Evangelien der drei Synoptiker ausführlich beschrieben ist. (Auf dem Text-Medaillon, das im oberen Teil der Tafel an der Schrift-Kartusche hängt, sind die entsprechenden Bibelstellen angegeben: bei Matthäus im 17., bei Markus und Lukas jeweils im 9. Kapitel.)

Biberach a.d.R. um 1500 – mit ‚Sanct Martin Kirch‘ (Mitte)

In nahezu allen medizin-historischen Kulturen – von der (Prä-)Antike bis in unsere Zeit – hat der Mensch Schmerz, Leid und Tod mit höheren Mächten in Verbindung gebracht. So waren es auch – je nach Glaubens-Ausrichtung – Götter, böse Geister, Dämonen oder Teufel, die insbesondere die gefährlichen und langdauernden (chronischen) Krankheiten verursachten. Das galt nicht zuletzt auch für die Epilepsie.

Zur Zeit des Urchristentums und des christlichen Mittelalters, ja bis in die Neuzeit hinein, wurde die Epilepsie immer wieder als eine ‚dämonische Krankheit’ (morbus daemonicus) apostrophiert, deren Verhinderung und Heilung allein Gott möglich war. In zahllosen Ikonographien wird dies eindrücklich thematisiert (s. die Rubrik ‚Das Epilepsiemotiv in der christlichen Kunst’ dieser Reihe).

Raffaelo Santi (Raffael): Transfiguration: Ölgemälde, 1519/20

Im 17. Kapitel (Vers 1 ff.) des Matthäus-, im 9. Kapitel (Vers 2 ff.) des Markus- und ebenfalls im 9. Kapitel (Vers 28 ff.) des Lukas-Evangeliums wird die Verklärung Christi geschildert, die Transfiguration. Alle drei genannten Evangelisten lassen im Anschluss an diese Verklärungsschilderung im selben Kapitel die Erzählung von der Heilung des "mondsüchtigen" (d. h. fallsüchtigen, epileptischen) Knaben folgen.

Einer der bedeutendsten Renaissance-Maler, Raffaelo Santi (gen. Raffael, 1483 – 1520), hat Verklärung und Heilungsszene in einem großartigen Kunstwerk zusammengefasst. Dieses mit ‚Transfiguration’ benannte Gemälde ist in der Kunstgeschichte das berühmteste, wichtigste und wohl auch eindrücklichste Bild, auf dem ein epilepsiekranker Mensch dargestellt ist. Das 405 x 278 cm große Gemälde – das letzte, das Raffael gemalt hat (1519/20) – zeigt in der oberen Hälfte die Verklärung Christi (auf dem Berg Tabor). In der unteren wird dargestellt, wie ein verzweifelter Vater (rechts im Bild, grün gewandet) seinen mondsüchtigen (epileptischen) Sohn zu den Jüngern Christi bringt und sie um Hilfe für das Kind, das in seinen Anfällen "häufig ins Feuer oder ins Wasser fällt", bittet. "Aber", wie es dann bei Markus heißt, "sie hatten nicht die Macht dazu." Erst als Christus später hinzukommt, heilt er den Jungen durch eine Dämonenaustreibung (s. den Beitrag ‚Epilepsie in der Bibel [I]’ dieser Reihe).
Die Gleichsetzung von ‚mondsüchtig’ und ‚fallsüchtig’ (epileptisch) ist in der Zeit, in der Christus und die Evangelisten leben, nicht ungewöhnlich; ‚morbus lunaticus’ (‚Mondkrankheit’) war in der damals bestimmenden römischen Medizin eine sehr gebräuchliche Epilepsiebezeichnung.
Der kranke Junge ist auf dem Bild spärlich bekleidet dargestellt, die Muskeln seiner tonisch gestreckten Arme treten deutlich hervor, die Augen stehen in Schielstellung, Zunge und Lippen sind blau verfärbt. Der Anfallkranke ist in dem vom Maler festgehaltenen Augenblick nicht in der Lage, selbständig zu stehen, er wird vom Vater von hinten gestützt und gehalten. Auch wenn die Position der Arme (der rechte ist steil nach oben, der linke nach unten gerichtet) aus epileptologischer Sicht etwas ungewöhnlich anmutet, ist man doch versucht, einen (asymmetrischen) tonischen Anfall zu diagnostizieren. Aber bei der Betrachtung des Bildes interessieren eigentlich weniger die Anfallssymptome; es drängt sich vielmehr die Frage auf, was Raffael bewogen haben mag, diese beiden Szenen, die inhaltlich scheinbar nichts miteinander zu tun haben, in einem Gemälde zu vereinigen. Der Hinweis, dass die beiden Ereignisse von den Evangelisten in enger zeitlicher Abfolge geschildert werden, greift wohl zu kurz – man sucht doch nach tieferen Zusammenhängen. Die könnten bei erneuter Betrachtung des Bildes durchaus gegeben sein: Von den 19 Personen, die in der unteren Bildhälfte dargestellt sind, ist der anfallkranke Junge der einzige, der sein Gesicht nach oben gewandt hat, zu Christus in seiner Transfiguration. Von der Farbe der Gewandung (Christus und der Knabe) über die Richtungshinweise der ausgestreckten Arme verschiedener Personen und die szenische Aufstellung der Figuren bis zu dieser schon erwähnten Kopfwendung des Jungen weist alles auf eine Beziehung zwischen dem verklärten Christus in der oberen und dem epilepsiekranken Jungen in der unteren Bildhälfte hin. Doch worin könnte diese Beziehung bestehen? Hier helfen möglicherweise die Evangelientexte nochmals weiter. Bei allen drei Autoren werden die beiden Szenen (Transfiguration und ‚Mondsucht’-Heilung) eingerahmt von der ersten und zweiten Leidensankündigung Christi, die bei Matthäus z. B. so formuliert ist (Deutsche Einheitsübersetzung): "Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert werden, und sie werden ihn töten; aber am dritten Tag wird er auferstehen."

Unbek. Meister: Deckenmalerei, St. Martin-Kirche in Zillis (Kanton Graubünden), 12. Jh.

Es ist ein ganz besonderer Glücksfall, dass die bemalte Decke der St. Martin-Kirche in Zillis (Schweiz, Kanton Graubünden) der Nachwelt erhalten geblieben ist. Die 153 quadratischen Tannenholz-Tafeln mit einer jeweiligen Kantenlänge von etwa 90 cm wurden im 12. Jahrhundert bemalt, wahrscheinlich zwischen 1130 und 1140. Die bunte Kirchendecke in Zillis ist die weltweit einzige ihrer Art, die die Zeit von der Romanik bis heute weitgehend unversehrt und nahezu unverändert überstanden hat.
105 der Tafeln stellen überwiegend Personen und Geschehnisse aus dem Neuen Testament der Bibel dar, nur einige wenige haben Szenen aus dem Alten Testament zum Thema. Dieser ‚Innere Zyklus’ wird von 48 randbildenden Tafeln umsäumt (‚Äußerer Zyklus’), auf denen Drachen, Sirenen und andere sagenhafte Wesen sowie erkennbare, überwiegend aber phantastische Tiergestalten dargestellt sind; nur ganz vereinzelt finden sich auf diesen Randtafeln einige Engel und menschliche Figuren.
Wann und wo auch immer dem leseunkundigen Volk des christlichen Mittelalters der Inhalt der Bibel, insbesondere das in den vier Evangelien geschilderte Leben Jesu Christi bildlich vermittelt werden sollte, spielten die Wunder, die der Gottessohn während seines irdischen Daseins vollbracht hatte, eine besondere Rolle – so auch in der Bilderwelt der Kirchendecke in Zillis. Unter anderen Wunderheilungen ist hier auch die Heilung des ‚mondsüchtigen’ Knaben dargestellt, wie sie im Markus-Evangelium (Mk 9, 14-27) geschildert wird Es handelt sich um die Tafel 106 der Bilderdecke.